Ringvorlesung „Teilhabe gestalten. International denken, kommunal handeln"
Teilhabe ermöglichen. Vom Recht zur Praxis vor Ort.
Rückblick auf den Beitrag von Markus Illig, Verfahrenslotse der Wissenschaftsstadt vom 05. Juni 2025 an der EHD.
Nach § 10b SGB VIII unterstützt ein Verfahrenslotse tatsächliche und potentielle Leistungsberechtigte darin, ihre sozialen Rechte zu kennen und wahrzunehmen. Dabei geht es heute nicht mehr so sehr um Fürsorgeleistungen (Versorgung, Unterbringung, Verpflegung), sondern um das Recht der Bürger*innen, ihr Leben unter Inanspruchnahme von Dienstleistungen selbstbestimmt zu gestalten. Die persönlichen Interessen der in den Blick geratenden Bürger*innen können dabei mit den sozialrechtlichen Festschreibungen in Konflikt geraten. Welche Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) oder der Eingliederungshilfe (SGB IX) stehen den Antragssteller*innen tatsächlich zu und welche nicht? Wo spielen Ermessensfragen eine entscheidende Rolle?
Verfahrenslotsen sollen hier Orientierung geben und Wege aufzeigen. Dafür benötigen Sie einen gewissen Freiraum und arbeiten daher weisungsungebunden. Als Inhaber einer Stabsstelle unter der Jugendamtsleitung versucht Herr Markus Illig, Verfahrenslotse der Stadt, solche neuen Wege zu beschreiten. Und er scheint dies recht erfolgreich zu meistern.
Die konkreten Beratungsleistungen des Verfahrenslotsen fußen in Darmstadt laut Illig auf einem niedrigschwelligen Zugang zu Sozialleistungen (z.B. ist eine Diagnose vorläufig nicht notwendig, ebenso wenig eine Anerkennung des Bedarfs). Die Beratung erfolgt nach dem Prinzip sozialrechtlicher Beratungspflicht nach SGB I. Beraten werden Kinder und Jugendliche, die behindert oder von Behinderung bedroht sind bis zur Vollendung ihres 26. Lebensjahres. Die Beratung schließt in aller Regel die Familienangehörigen mit ein, die Leistung ist kostenlos und streng vertraulich. Eine Rechtsberatung schließt sie allerdings aus. Neben der direkten Beratung betroffener Bürger*innen berät der Verfahrenslotse das Jugendamt mit Blick auf die Entwicklung inklusiver städtischer Strukturen.
Die Inklusionsbereitschaft der Wissenschaftsstadt Darmstadt ist gegeben, so Illig. Das hatte sich schon in der frühzeitigen Schaffung der Stelle eines/r Verfahrenslots*in gezeigt. „Eine solche Stelle ist sinnvoll, leider aber auch notwendig“, so Illig im Rahmen der Ringvorlesung. Die Notwendigkeit ergebe sich durch die Komplexität der unterschiedlichen Rechtsansprüche und Verfahrensweisen. Der Paradigmenwechsel der Eingliederungshilfe, die „Gleichberechtigung, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung“ durch ein neues Paradigma der Personenzentrierung anstrebt, erfordere erhebliche Beratungskompetenzen.
Durch Verfahrenslotsen wie Markus Illig werden individuelle und familiäre Bedarfe ebenso sichtbar wie allgemeine Teilhabebedarfe im Gemeinwesen eines Stadtteils. Sie sind sehr gut vernetzt und kennen die Barrieren in den Schnittstellen verschiedener Zuständigkeitsbereiche. Mittel- und langfristig können Verfahrenslotsen wichtige Impulse für die inklusive Entwicklung der Darmstädter Stadtteile geben.
Prof. Dr. Peter Groß