Wer eigentlich macht unsere Zukunft?
Zeitforscher:innen tagten in Darmstadt

(11.11.2022) Wie (spät-) moderne Gesellschaften ihren Weg in die Zukunft organisieren, war Gegenstand der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik (DGfZP) zu Gast an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen standen die gesellschaftlichen Akteure und Agenturen, die emphatisch „Zukunft machen“.

EHD-Präsident Prof. Dr. Uwe Becker, Tagungsorganisator Dr. Jürgen P. Rinderspacher und Prof. Dr. Dietrich Henckel, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik (v.l.n.r.)

„Die Menschen erleben die Zukunft heute vor allem als Ankündigungsgeschehen großer Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen“, führt Tagungsorganisator Dr.  Jürgen P. Rinderspacher aus. „Elon Musk, Mark Zuckerberg, Bill Gates und die anderen arbeiten mit Nachdruck an der Verbesserung der Welt, nach ihrem Bilde versteht sich. In der Konsequenz scheint die Zukunft immer öfter nicht von Dingen bestimmt, die wir als nützlich und vernünftig ansehen würden, sondern von eher zweifelhaften Zielsetzungen bestimmter politischer und wirtschaftlicher Eliten.“

Gleichzeitig mache sich angesichts von Corona, Klimawandel, Ukrainekrieg und Energiekrise eine diffuse Angst vor großen Katastrophen breit. „Sind wir damit vielleicht wieder nahe bei der ohnmächtigen Weltsicht des Mittelalters angekommen?“, fragt der Zeitforscher und fügt hinzu: „Spätestens die Natur, sprich der Klimawandel und die Ressourcenlage der Welt erzwingen, dass nicht jeder, wie einst im Wilden Westen sein eigenes Ding, sprich: seine eigene Zukunft machen kann.“

Die räumliche, zeitliche und soziale Nähe der Weltgesellschaft würde zu Kompromissen der Zukunftsbilder zwingen. Rinderspacher nennt als Beispiel den Kompromiss des Pariser Klimaabkommens, das 1,5 Grad Ziel: „Manchen Ländern war das von vorn herein zu ambitioniert, manchen viel zu anspruchslos.“ Damit richte sich der Blick für ihn auf „die kommunikativen Prozesse, die es ermöglichen, solche Zukünfte sowohl innerhalb als auch zwischen Gesellschaften im Konsens weltweit herzustellen.“ Der Zeitforscher fordert denn auch eine „Demokratisierung der Zukunft“.

Die Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen aus sozial- und naturwissenschaftlichen Fachgebieten. Die DGfZP hat das Ziel, zu einem lebensfreundlichen Ausgleich zwischen Be- und Entschleunigung und zur Nachhaltigkeit von Alltagszeitstrukturen beizutragen. Die Forscher:innen plädieren für einen bewussten und demokratischen Umgang mit der Ressource und dem kulturellen Medium Zeit. Infos unter: www.zeitpolitik.org